Rumänien sieht Ende starker Auswanderung

Rumänische Regierungsvertreter betonen, die Schweiz habe von der Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Mitglieder keine Invasion zu befürchten; das Land benötige vielmehr selber mehr Arbeitskräfte. Das Lohngefälle zu Westeuropa und andere Faktoren dürften aber weiterhin zu einer gewissen Auswanderung führen.

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C. W. Weshalb es denn in der Schweiz Befürchtungen gebe, die Personenfreizügigkeit mit dem neuen EU-Staat löse Wanderungsströme aus, fragen hohe Vertreter verschiedener rumänischer Ministerien die Besucher. Rumänien befinde sich in raschem wirtschaftlichem Wachstum, verzeichne steigende Löhne und 150 000 bis 200 000 offene Stellen. Die Zeit der starken Auswanderung sei vorbei. Trotz echter oder rhetorischer Verständnislosigkeit scheint man sich aber – aus der Zeit der Beitrittsverhandlungen gewohnt – zumindest eines Imageproblems bewusst zu sein; sonst hätte die rumänische Botschaft in Bern nicht schweizerische Journalisten zu Gesprächen nach Bukarest eingeladen. Die Ausdehnung des Freizügigkeitsabkommens mit der Europäischen Union auf Rumänien und Bulgarien kommt im April und im Juni vor die eidgenössischen Räte und später voraussichtlich vor das Volk.

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Mindestens zwei Millionen im Ausland

Wie verhält es sich in der Realität? Die Zahl der im Ausland lebenden Rumänen beträgt nach offizieller Statistik weniger als eine Million, nach einer Schätzung des rumänischen Gewerkschaftsbunds hingegen 3,4 und nach anderen Annahmen 2 Millionen. Die Divergenzen erklären sich vor allem durch Saisonbeschäftigungen und Schwarzarbeit beziehungsweise illegale Aufenthalte, wie sie auch nach dem EU-Beitritt sehr zahlreich sind, zumal die meisten westeuropäischen Mitgliedstaaten noch Zulassungsbeschränkungen beibehalten. Die weitaus wichtigsten Aufenthaltsländer sind Italien und Spanien, nicht nur wegen der sprachlichen Verwandtschaft.

Die jährliche Auswanderung war nach dem Sturz des Ceausescu-Regimes 1990 sprunghaft auf 97 000 Personen gestiegen (darunter waren viele Deutsche aus Siebenbürgen), nahm dann wieder stark ab und lag 2006 offiziell bei 14 000 Personen. Die temporäre Beschäftigung im Ausland wuchs laut einer Studie seit Erleichterung der Einreise durch die EU im Jahr 2002 von 6 bis 7 auf 10 bis 28 Promille der Bevölkerung, was 200 000 bis 600 000 von knapp 22 Millionen Einwohnern entspricht. Eine Trendwende lässt sich noch nicht belegen, zumal für 2007 noch keine Zahlen greifbar sind. Die Behörden berufen sich auf einzelne Beobachtungen und beispielsweise darauf, dass die Auswanderung nach Ungarn, wo der Arbeitsmarkt schon offen ist, um 11 Prozent abnahm. Dass es weiterhin eine Migration geben dürfte, wird nicht bestritten. Doch werde diese in einem gewissermassen natürlichen Rahmen bleiben, indem Menschen im Ausland (vor allem im westlichen) Neues erkunden und erlernen wollten.

Bemühen um Rückwanderung

Die Geldüberweisungen von Auslandrumänen in die Heimat werden von einem Berater im Wirtschaftsministerium für 2007 auf 7 Milliarden Euro beziffert. Eine Vervielfachung seit Anfang des Jahrzehnts wird nicht zuletzt mit einem individuellen wirtschaftlichen Aufstieg erklärt. Trotz diesem Beitrag von einigen Prozent des Bruttonationalprodukts zeigt sich die rumänische Regierung interessiert an einer Rückwanderung der Landsleute, die im Ausland Erfahrung gesammelt haben. Entsprechende Massnahmen sollen neben dem Ausbau der Berufsbildung zur Behebung des Mangels in der Bauwirtschaft und anderen Sektoren beitragen. Die Zahl der Bewilligungen für ausländische Arbeitskräfte, die vor allem aus der Türkei und aus China kommen, wurde für das laufende Jahr auf 10 000 beschränkt.

Insistieren auf Gleichberechtigung

Das Arbeitsministerium ermittelt vorerst mittels Studien die Interessen der Emigrierten und stellt bei der grossen Mehrheit grundsätzlich einen Willen zur Rückkehr fest. An einer Informationsveranstaltung in Rom – eine ähnliche in Spanien ist geplant – wurde im Februar mit den Betroffenen Kontakt aufgenommen. Unmittelbar fanden die Angebote wenig Anklang; meistens forderten die Befragten Monatslöhne von mindestens 600 Euro, oder sie wünschten eher einen eigenen Betrieb zu gründen. Das lässt immerhin auf eine Perspektive schliessen, während etwa in einer früheren Untersuchung über Rumänen in Spanien eine Lockerung der Beziehungen zum Herkunftsland festgestellt wurde. Die rumänischen Behörden versuchen im Weiteren auch internationale Investoren wie zum Beispiel Pirelli dafür zu gewinnen, für ihre Fabriken in Rumänien Rückwanderer zu rekrutieren.

Die Interessenlage Rumäniens, dessen Bevölkerung leicht abnimmt, dürfte es der Schweiz erleichtert haben, für die Anwendung der Personenfreizügigkeit mehrjährige Übergangs- und Schutzbestimmungen auszuhandeln. Im Grundsatz äussert sich aber Raduta Matache, Staatssekretärin im Aussenministerium, bei allen positiven Worten über die Schweiz und ihre Projekte der Osthilfe, dezidiert: Eine Diskriminierung, indem die Schweiz ihren Arbeitsmarkt nur Angehörigen der 25 «älteren» EU-Staaten öffnen würde, will man nicht; ein Nein mit Bezug auf Rumänien und Bulgarien hätte zur Folge, dass alle bilateralen Verträge der ersten Serie gekündigt würden.

Der neue EU-Staat seinerseits will als verlässlicher Partner gelten. In den Aufbau eines wirksamen Systems zur Kontrolle der Ostgrenze wurden mit Unterstützung der Union 500 Millionen Euro gesteckt, betont Dorin Marian, Leiter der Kanzlei des Premierministers. 2011 sollte ein Beitritt zum Schengen-Raum realisiert werden können. Auch wolle man bei der Einbürgerung von Zuzügern aus der benachbarten Moldau, die dann die EU-Freizügigkeit beanspruchen können, eine strikte Praxis befolgen – trotz nationalistischem Druck, die rumänischsprachigen «Brüder» mit offenen Armen zu empfangen. Mit der Schweiz ist die Rückübernahme illegaler Aufenthalter vertraglich geregelt und die Kooperation auch durch einen Vertreter des rumänischen Innenministeriums in der Botschaft in Bern gesichert.

Die Roma – ein anderes Problem

Befürchtungen und Polemiken um die Ausdehnung des freien Personenverkehrs hängen auch mit der Assoziation Rumänien - Roma zusammen. Die Gesprächspartner in Bukarest sind sich dessen sehr wohl bewusst, und in der Tat ist Rumänien das Land mit der grössten Roma-Bevölkerung. Je nach Definition (Roma deklarieren sich oft nicht als solche) handelt es sich um 700 000 oder 1,5 bis 2,5 Millionen Menschen. Nur noch wenige von ihnen sind Fahrende im eigentlichen Sinn. Bezüglich Migration ist übrigens zu unterscheiden zwischen dem Recht, eine Arbeit zu den üblichen Bedingungen anzunehmen (Personenfreizügigkeit), und der visumsfreien Einreise für einige Monate, wie sie schon heute gewährleistet ist. Noch einmal etwas anderes ist der Weg des Asylverfahrens. Doch auf Gesuche von Rumänen wird nicht eingetreten, weil allfällige Diskriminierungen von Roma nicht als Fluchtgrund gelten.

Das Problem wird keineswegs bagatellisiert. Je nach Standpunkt heisst es gesellschaftliche Randstellung und Armut, Diskriminierung im Alltag oder mangelnde Bereitschaft zur Integration. Die Regierung unternimmt einiges, um die Lage der Roma zu verbessern. Man spricht von Inklusion, um den Eindruck der erzwungenen Assimilation zu vermeiden. Zu den Massnahmen gehören beispielsweise reservierte Studienplätze (Quoten), die Schaffung von Kindergärten, aber der Verzicht auf getrennte Schulklassen und ein Weltbankkredit für Projekte lokaler Gemeinschaften. Eine direkt dem Premierminister unterstellte Behörde koordiniert die Aktivitäten. Ihr Leiter im Rang eines Staatssekretärs, Gruia Bumbu, nennt als die grundlegende Schwierigkeit, Tradition und Moderne zusammenzubringen (selber diskutiert er mit seiner Frau darüber, ob ihr Kind dereinst Romani lernen soll). Kurzfristige Lösungen verspricht er nicht. Als hilfreich betrachtet er indessen, dass die Aufgaben um «die vielleicht europäischsten Bürger» auch im Rahmen der EU angegangen werden.